Porträt

Aufbruch / 1959-1989

Neugier trieb Peter Gebhard von Kindesbeinen an. Schon früh begeisterte er sich für Landkarten und Atlanten, schrieb bereits als Sechsjähriger auf der Schreibmaschine seines Vaters erste skurril-phantastische Reisegeschichten wie "Der Zauberer von Caracas" und "Warum Kiel auch eine Autobahn haben muss". Große Reisen im Kopf, kleine Reisen mit den Eltern: als Erstklässler lotste er sie mit dem Straßenatlas in der Hand auf der Autofahrt oft von der Ostsee zu seinen Großeltern hinunter nach Bayern. Die Leidenschaft fürs Reisen entbrannte vollends im Teenager-Alter mit Interrail-Touren nach Skandinavien. Auf wochenlangen Trekkingtouren durch die menschenleere Bergwelt Lapplands entdeckte er zunächst die überwältigende Erhabenheit der arktischen Natur. Die Ruhe und die Weite des hohen Nordens, aber auch das langsame Tempo des "Fußgängers" schärften seinen Blick für das Wesentliche, aber auch für spannende Details. Kein Wunder, dass genau dort seine Liebe zur Fotografie entstand. Erst viel später spürte Peter, dass seine frühen Trekkingtouren ihm noch ganz andere Werte vermittelten, die sein abwechslungsreiches Leben bis heute prägen: Antizipation, Durchhaltevermögen, Intuition, Wertschätzung, Demut.

Doch zunächst war sein Weg holprig: Nach vier Semestern brach er sein Mineralogie-Studium ab, dann folgten 18 Monate Zivildienst – eine wichtige Orientierungsphase. Ein weiteres Jahr jobbte er, da er sein angestrebtes Fotodesign-Studium trotz bestandener künstlerischer Aufnahmeprüfung wegen seines mittelmäßigen Abiturs nicht sofort beginnen durfte. Nach mehreren Reisen nach Island und New York während seines Studiums startete er mit ersten kleinen Vorträgen von seinen Reisen – zunächst eher als Alternative zu den Studentenjobs in den Fabriken gedacht. 1988 nahm ihn eine renommierte Münchner Vortragsagentur als Redner mit seinem Vortrag über New York auf. In New York traf er wenig später auf einen charmanten weißgelockten fast 90 Jahre alten Herrn, sie freundeten sich an und er fand mit ihm das Thema für seine Diplomarbeit: die ergreifende Lebensgeschichte eines deutsch-jüdischen Musikers rund um den Globus.

Amerika / 1990 - 2014

Peters Foto-Text-Reportage "Ich wollte schon immer der ganzen Welt angehören!", ein Zitat seines Protagonisten Lothar Simenauer, fand auf Anhieb große Beachtung: zunächst im Magazin der FAZ, später in einem gleichnamigen Buch. Erst viele Jahre später erkannte Peter, dass dieser zutiefst humanistische Leitsatz auch auf ihn und sein Leben zutrifft: So pendelte er in den 1990er-Jahren vielfach zwischen Island und New York, bevor er schließlich seine große Liebe zu Südamerika entdeckte: zu den rauen Winden Patagoniens, den magischen Höhen der Anden und dem endlosen Dschungel Amazoniens. Doch je weiter seine Reisen ihn führten, desto klarer wurde ihm, dass wahre Begegnungen nicht in der Betrachtung der Landschaft, sondern in den Geschichten der Menschen wurzeln, die diese Orte mit Leben füllen.

Manchmal öffnen gerade die entlegensten Orte die größten Möglichkeiten: So war es während seines Projekts "Der Weg der Inka – Von den Anden zum Amazonas", als er und seine Frau Anne auf dem indigenen Fest "Qollyur Riti" in den peruanischen Anden eine Gruppe von Musikern aus einem abgeschiedenen Bergdorf namens Junuta kennenlernten. Das Dorf lag auf 4500 Metern Höhe, ohne Straßen, ohne Strom, ohne Telefon – und ohne Schule für die Kinder. Doch was fehlte, wurde durch die Herzlichkeit der Bewohner mehr als wettgemacht. Der warme Empfang berührte Peter und Anne tief. Sie erkannten, dass Reisen nicht nur bedeutet zu nehmen – Eindrücke, Geschichten, Gastfreundschaft –, sondern auch die Möglichkeit bietet, etwas zurückzugeben. So entstand im Gespräch mit den Einheimischen die spontane Idee zu "Escuela", einem Spendenprojekt für den Bau einer Dorfschule und die Einstellung eines Lehrers – eine Geste des Respekts, eine Anerkennung des Gebens und Nehmens, das jede wahre Begegnung prägt. Über Jahre hinweg kamen durch die alljährlichen Vortragstournee von Peter im Laufe der Jahre fast 70.000 Euro an Spendengeldern zusammen. Und als die Schule schließlich im Februar 2004 eingeweiht wurde, war es ein Moment, der nicht nur für Dorfbewohner, sondern auch für Peter und Anne tief bewegend war. Es war der Beweis, dass wahre Verbindung die Welt nicht nur durch Worte und Bilder, sondern auch durch Taten bereichern kann.

Nur drei Monate später brach Peter zu seinem Mammutprojekt "Panamericana" auf – einer atemberaubenden Reise von Alaska bis nach Feuerland, die nicht nur eine Expedition durch spektakuläre Landschaften war, sondern auch eine Begegnung mit den tief verwurzelten indigenen Kulturen Amerikas. Ob bei den Huicholes und Lacandon-Maya in Mexiko, bei den Kuna in Panama oder bei den Aymara in Peru und Bolivien – überall stieß er auf ein völlig anderes, nämlich zyklisches Weltverständnis. Während das westliche Denken die Zeit als linearen Pfad des Fortschritts und Wachstums begreift, bedeutet sie hier Erneuern und Wiedereinfügen in eine höhere Ordnung. In den Anden zeigt sich diese Balance in der heiligen Beziehung zwischen Pachamama, der nährenden Mutter Erde, und den Apus, den wachsamen Berggöttern, in der rhythmischen Wiederkehr von Trocken- und Regenzeit. Für Peter war es, als tauchte er in einen anderen Atemrhythmus der Welt ein, der Streben durch Besinnung ersetzt und nicht auf Wachstum, sondern auf Beständigkeit fußt.

Peters Langzeitreportage „Panamericana“ wurde mit zahlreichen Fernsehauftritten, nationalen und internationalen Publikationen medial zu seinem bis dahin größten Erfolg. Aber er blieb seinen alten Lieben Patagonien und Island mit neuen Projekten treu. Mit der wachsenden Erfahrung, viel Ausdauer und Gespür fokussierte er sich immer weniger auf die Oberfläche, sondern viel mehr auf die Essenz dieser extremen Landschaften und ihrer so besonderen und starken Menschen.

Nach so viel Landschaft und Einsamkeit brauchte Peter einen Gegenpol. 2011 war es an der Zeit für ein Stadtporträt einer wunderschönen, aber auch extrem gefährlichen Metropole: Rio de Janeiro. Peter spürte vom ersten Moment an: Rio ist Leben pur – wunderschön und zugleich gnadenlos grausam. Eine extreme Herausforderung für ihn als Fotografen. Trotz der mannigfaltigen Gefahren drang er tief in das Herz und den Rhythmus der "cidade maravilhosa" vor, lernte Sambatänzerinnen, Prediger, Fußballstars, Freigeister, obdachlose Jugendliche und sogar einen deutschstämmigen Schwarzbrotbäcker kennen. Und er verliebte sich ... in die kultigen alten VW Busse, die, in Sao Paulo produziert, überall auf den Straßen Brasiliens rollen. Nach 5000 Kilometern mit einem solchen in Brasilien "Kombi" genannten VW-Bus war für Peter klar, dass er zukünftig mit einem solchen Oldtimer Europa entschleunigt entdecken möchte.

Europa / 2015-2022

Im Frühjahr 2015 erwarb er in Deutschland einen der legendären T1-Busse und machte sich sogleich mit seinem Assistenten auf den Weg nach Istanbul, dem Startpunkt der ersten großen Europa-Durchquerung mit seinem 44-PS starken Oldtimer. Jeder der 15.000 Kilometer bis zum Nordkap musste hart erkämpft werden, aber Bulli „Erwin“ war fast überall ein Herzensbrecher und Türöffner. Viele wunderbare Geschichten hätten ohne seinen 50 Jahre alten VW-Bus niemals stattgefunden, er wurde also Teil der Geschichte, ein treuer stets lächelnder Begleiter, der im Laufe der Jahre zu Peters unverwechselbarem Markenzeichen avancierte.

Zunächst reiste das neue Gespann 2017 noch einmal für ein halbes Jahr nach Island, Peters 33. und längste Reise auf die Vulkaninsel im Nordatlantik. Natürlich gab es einige Pannen, es gab orkanartige Stürme, wegen Überschwemmung oder Neuschnee gesperrte Straßen, aber all diese Hindernisse hatten irgendwie einen Sinn: Sie waren allesamt wichtige Lektionen in puncto Gelassenheit, Demut und Flexibilität. Die wettergeprägten Isländer hatten dazu auch ein schönes Sprichwort: „Such das Glück nicht mit dem Fernrohr!“

Nicht nur nach vorne, sondern immer wieder in alle Richtungen schauen, Chancen und Gefahren dadurch schneller erkennen, das hatte Peter vor allem in Lateinamerika gelernt.  Für sein drittes Bulli-Abenteuer-Projekt, eine weitere Europa-Tour von Lissabon nach Lappland, war im Frühjahr 2020 genau jene Eigenschaft gefragt. Durch den Lockdown musste er seinen ursprünglichen Reiseplan canceln und komplett umdenken. Wie konnte man überhaupt aus Deutschland herauskommen? Schließlich gelang es ihm über gute Kontakte eine Einladung eines Schweizer Bio-Bauern zu erhalten. Mit diesem Dokument konnte er die Grenze problemlos überqueren. Die folgenden Wochen waren reisetechnisch eine permanente Herausforderung. Aber Peter wurde plötzlich bewusst, was zugleich die seltsame Pandemie-Zeit ihm für ein Geschenk offenbarte: Fast überall, ob in Lissabon, Danzig oder in Riga fehlten die Touristen, es herrschte manchmal fast eine gähnende Leere – ein Paradies für ihn als Fotografen! Und es wurde noch einfacher mit den Einheimischen in Kontakt zu kommen, wunderbare Geschichten zu erleben. Ganz am Schluss der so fragmentierten, fast 25.000 Kilometer langen Tour kamen Peter seine frühen Reisen in den Norden zugute: Es gelang ihm nach 28 Jahren wieder die Gruppe von Sami-Rentierzüchtern am Nordkinn zu treffen, die er als junger Fotograf im Herbst 1993 beim Eintreiben ihrer Tiere kennengelernt hatte – ein hochemotionales Wiedersehen auf dem Dach Europas nach über einem Vierteljahrhundert!

Rückkehr / 2023 -

Es heißt, man müsse erst die Ferne erkunden, um die Schönheit und den Wert der Heimat wirklich zu erkennen – vielleicht braucht es den Blick auf fremde Horizonte, um die eigenen im neuen Licht zu sehen. Denn oft scheint das Gras auf der anderen Seite grüner, die Ferne verlockender, das Unbekannte schillernder. So war Peter in den letzten Jahrzehnten viel in Deutschland unterwegs, sei es auf seinen winterlichen Veranstaltungstouren oder im Sommerurlaub mit seiner Familie, aber die Zeit für ein umfassendes Deutschland-Projekt war erst nach seiner zweiten großen Europa-Tour reif.

Mit seinem neuen Projekt „360° Deutschland“, einer 15.000 Kilometer langen Reise mit Bulli „Erwin“ rund um Deutschland entlang der Küsten und Grenzen, kehrte Peter nun wieder an seinen Ausgangspunkt zurück. Mit dem Erfahrungsschatz und dem geschärften Blick durch all seinen Reisen gelang es ihm auch hier im scheinbar so unspektakulären Deutschland wunderbare Geschichten und fantastische Orte zu entdecken. Das Glück kann direkt vor der Haustür liegen. Peter hat es nun mit Erwin erfahren.

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